Liebe*r Abonennt*in,
stellen Sie sich vor: Sie arbeiten als Lieferdienstfahrer*in für eine Plattform, über die Essen bestellt werden kann. Die Plattform nutzt Algorithmen, um Aufträge an Sie zu verteilen und Ihre Arbeitsleistung zu kontrollieren. Sie können nicht nachvollziehen, nach welchen Regeln der Algorithmus Aufträge verteilt. Sie haben den Eindruck, dass Sie weniger lukrative Aufträge erhalten, wenn Sie zu lange für eine Strecke brauchen oder Aufträge ablehnen. Dadurch sind Sie eher bereit, Risiken im Straßenverkehr einzugehen und fahren häufig über rote Ampeln. Machen Sie eine Toilettenpause oder umfahren einen Stau, meldet die App Ihren Standort und erkundigt sich nach dem Grund für die Verzögerung.
So oder so ähnlich geht es täglich Tausenden von Menschen, die für Lieferdienste Essen ausfahren oder bei Fahrdiensten Menschen von A nach B bringen. Denn Algorithmisches Management macht das Geschäftsmodell der Plattformökonomie erst möglich. Es sammelt Daten, wertet sie aus und bringt Plattformtätige mit Kund*innen zusammen. Bei Lieferdiensten weisen Algorithmen Aufträge zu und kontrollieren die Arbeit automatisch. Das sorgt für eine schnelle und effiziente Abwicklung.
Doch der Preis ist hoch: 45 Prozent der Plattformbeschäftigten bei Lieferdiensten fühlen sich überwacht, wie eine neu veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt. Besonders belastend empfinden sie die automatisierte Kontrolle ihres Arbeitstempos (88 Prozent), die permanente Standortverfolgung (76 Prozent) und die lückenlose Überwachung ihrer Aufgabenerfüllung (69 Prozent).
Hier setzt die seit Dezember 2024 geltende EU-Richtlinie zur Plattformarbeit an. Sie fordert mehr Transparenz bei algorithmischen Systemen. Zudem sollen Menschen die Systeme überwachen und überprüfen. Um die Richtlinie wirksam werden zu lassen, müssen die Mitgliedstaaten sie bis Dezember 2026 in nationales Recht überführen. Dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist es wichtig, bei der Umsetzung die Erfahrungen der Plattformtätigen zu berücksichtigen, denn maßgeblich bleibt: Algorithmisches Management braucht klare Regeln und kompetente Menschen, die sie anwenden.
Eine informative Lektüre wünscht
Ihr Team der Abteilung Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft.